Eine deutliche Aufwertung der Leistungen der Mitarbeitenden in der Altenpflege hat der Passauer Caritasdirektor und Caritasvorstand Michael Endres gefordert. Im Interview mit der Passauer Neuen Presse sprach er sich dafür aus, das Gesamttarifsystem auf leistungsgerechte und verbesserte Vergütungen für alle Anbieter und Träger zu vereinheitlichen. Für die Finanzierung der Pflege forderte er ein "Vollkasko-System" über die Pflegeversicherung. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um junge Menschen für den Einstieg in den Pflegeberuf zu gewinnen, sieht der Caritasdirektor es als nötig, die Ausbildung in der Altenpflege nicht auf den Personalschlüssel anzurechnen. Die Politik stehe in der Pflicht.
Das Interview mit der Passauer Neuen Presse im Wortlaut:
Eine große Baustelle im Sozialsystem ist die Altenpflege, es fehlen sehr viele Arbeitskräfte. Wie meistert die Caritas das Problem?
Michael Endres: Wir gehen es aus mehreren Richtungen an. Wir versuchen, jeden Tag gute Pflege zu leisten, wir vergüten die Arbeit angemessen mit unserem Tarifsystem. Dieses liegt im Pflegebereich bundesweit mit an der Spitze. Wir legen viele Maßnahmen über das ganze Jahr auf. Wir haben ein Programm zur betrieblichen Gesundheitsförderung organisiert, damit die Mitarbeiter gesünder durchs Arbeitsjahr kommen, und verbessern die Arbeitsbedingungen. Mit Neu- und Umbaumaßnahmen sorgen wir für einen entsprechend guten Rahmen sowohl für Bewohner als auch für Mitarbeitende. Wir versuchen mit Kooperationspartnern die Ausbildung zu verbessern. Zudem appellieren wir an die Politik, zu handeln. Alle rufen nach besseren Bedingungen in der Pflege. Jetzt muss aber endlich wirklich was passieren.
Auch der Caritas fehlen Arbeitskräfte?
Michael Endres: Ja, wir brauchen Fachkräfte. Das Problem beschäftigt uns, aber wir können unsere Angebote für die älteren Menschen aufrechterhalten.
Wie bringt man mehr junge Menschen dazu, sich für einen Pflegeberuf zu entscheiden?
Michael Endres: Da gibt es zwei Antworten. Zum einen legen wir sehr viel Wert auf eine gute Ausbildung mit Ansprechpartnern und Ausbildern, die mit Herz und Seele dabei sind. Sie sollen dafür auch extra Zeit haben. Zum anderen fordern wir, die Ausbildung in der Altenpflege nicht auf den Personalschlüssel anzurechnen. Momentan ist das so. Das ist eine konkrete Forderung an die Politik. Man könnte sich mehr Zeit für die Ausbildung nehmen. Der Druck auf die jungen Menschen würde reduziert. Sie könnten sich schrittweise in den Betrieb integrieren. Auch damit kann man mehr junge Menschen für den Beruf gewinnen.
Das ist aber schon eine revolutionäre Forderung?
Michael Endres: Eine durchaus ambitionierte, aber nötige, Forderung. Wir kennen das Problem, junge Leute für diesen Beruf zu gewinnen. Die Analysen sind klar. Die Frage ist doch, wo wir ansetzen können. Da haben wir uns intern Gedanken gemacht und sind überzeugt, dass das ein guter Ansatz wäre.
Wie stehen die Chancen, dass ein derartiges Modell umgesetzt werden kann?
Michael Endres: Das ist schwer einzuschätzen, weil es schon ein großer Sprung wäre. Ich werde es jetzt in die Politik einspeisen.
Ministerpräsident Söder hat ja eine Pflegeoffensive angekündigt, zählen Sie auf die Politik?
Michael Endres: Auf die zähle ich sehr wohl. Wir werden ein Paket schnüren und auf sie zugehen. Ich hoffe auf ein offenes Ohr. Das ist ja jetzt eine Möglichkeit, das Versprechen umzusetzen, in Zukunft für die Menschen mehr Pflegeplätze zu schaffen und eine leistungsgerechte Vergütung für Pflegeberufe zu ermöglichen. Dann muss man jetzt was tun. Diese pragmatische Ausbildungsidee könnte helfen.
Es geht Ihnen auch um die Aufwertung des Pflegeberufs?
Michael Endres: Ja, unser Vorschlag wäre ein deutliches Zeichen den jungen Menschen gegenüber. Sie gehen nicht gleich voll ins System sondern schrittweise. Das gibt uns die Chance, junge Menschen zu gewinnen. Die älteren Menschen in den Heimen profitieren davon, weil sie langfristig von Menschen gepflegt werden, bei denen die Ausbildung geschützter und qualitativ noch hochwertiger als bisher war.
Was sagen Sie zur generalistischen Ausbildung? Was nutzt sie, wenn die meisten dann doch in die Kranken- und nicht in die Altenpflege gehen?
Michael Endres: Wir sehen es fachlich und inhaltlich als wegweisende Entwicklung. Aber wir haben natürlich schon die Sorge, dass die Altenpflege, sprich die Senioren- und Pflegeeinrichtungen, am Schluss das Nachsehen hat und eher die Krankenhäuser von der generalistischen Ausbildung profitieren. Deswegen wäre unsere Idee, die Ausbildung nicht auf den Schlüssel anzurechnen, eine Möglichkeit, die Altenpflege interessanter zu machen.
Es gibt ja Bestrebungen, ehemalige Pflegekräfte wieder zurückzuholen oder aus dem Ausland zu holen? Wie sieht das die Caritas?
Michael Endres: Ja, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückzuholen ist wichtig. Das geschieht im täglichen Werben unserer Verantwortlichen um frühere Mitarbeiter, die z.B. in Elternzeit sind. Kräfte aus dem Ausland abzuwerben, machen wir bewusst nicht. Wir hätten Möglichkeiten mit Caritasverbänden im europäischen Ausland, aber wir halten es aus moralischen Gründen nicht für geboten. Die Kräfte werden in der Heimat gebraucht. Und ein soziales System lebt ja nicht davon, dass die einen auf Kosten der anderen profitieren. Wenn zum Beispiel junge Frauen im rumänischen Satu Mare ihre Kinder zurücklassen müssten, um bei uns zu arbeiten, fehlen sie den Familien und auch im eigenen Sozialsystem. Das wollen wir nicht befördern.
Es gibt ja nicht nur die kirchlichen Institutionen im Pflegebereich, sondern auch private Anbieter. Hier passen oft die Wettbewerbsbedingungen nicht. Wie kommt man zu einem gerechten System?
Michael Endres: Der Wettbewerb mit privaten Anbietern beschäftigt uns. Wir scheuen nicht Konkurrenz aus fachlichen Gründen. Da können wir gut mithalten. Uns zeichnet aus und bestärkt das christliche Menschenbild. Die Botschaft Jesu Christi leitet uns dabei. Dass private Träger die Altenpflege günstiger anbieten, ist für uns schwierig. Wir wollen eine hohe Personalausstattung und höhere Entlohnung. Damit stehen wir im Wettbewerb. Die Menschen müssen die Pflege selbst bezahlen bis auf den Anteil der Pflegeversicherung. Und dann geht es halt wie überall im Leben um den Preis. Da sind wir als freier Wohlfahrtsträger in der Region im Nachteil. Wir investieren viel in die Gebäude unserer Altenhilfe. Das bringt hohe wirtschaftliche und finanzielle Belastungen mit sich.
Gibt es Ansätze, ein gerechteres System zu etablieren?
Michael Endres: Aus meiner Sicht wird das Thema mit den privaten Trägern bundespolitisch unterschätzt. Es ist auch Teil des Problems. Ein Ansatz wäre, das Gesamttarifsystem auf leistungsgerechte und verbesserte Vergütungen für alle Anbieter und Träger zu vereinheitlichen. Dieser Tarif darf aber nicht unterhalb unserer Bezahlung liegen. Wir wollen nicht, dass unsere Mitarbeiter in einem neuen System benachteiligt werden.
Muss man mit Pflege überhaupt Geld verdienen?
Michael Endres: Wir brauchen eine Finanzierung, die weder die Menschen, die gepflegt werden, noch die Pflegenden benachteiligt. Erlöse, die erwirtschaftet werden, müssen in Personal und Gebäude investiert werden. Wir stehen oft auch, wenn wir die Personalkosten erhöhen, in der Kritik der Bewohner. Umgekehrt stehen wir auch in der Verantwortung für die Bewohner, die Pflegekräfte ausreichend zu vergüten. Im ambulanten Pflegebereich z.B. fahren private Anbieter oft die Orte an, die wirtschaftlich Sinn machen. Wir dagegen sind auch von denjenigen angefragt, die in entlegenen Orten wohnen. Das bedeutet zusätzlich Zeit und Fahrtstrecke. Die Sozialstationen nehmen das für die Menschen in unseren ländlichen Regionen vielfach auf sich. Aber es ist zunehmend schwieriger, zu jedem Einzelfall, wo auch immer, hinzufahren. Das ist ein großes Spannungsfeld.
Wie lässt sich auf längere Sicht, Pflege überhaupt noch finanzieren?
Michael Endres: Bis jetzt ist es ein Teilkasko-System, um ein Beispiel aus der Autobranche zu bemühen. Die Pflegeversicherung gibt mir einen Beitrag und die Differenz muss ich dann selber zahlen. Eine Lösung kann nur ein Vollkasko-System sein. Für die Finanzierung über die Pflegeversicherung ist das Gemeinwohl, die Gesellschaft insgesamt, gefragt. Jetzt schließt sich der Kreis. Es braucht eine höhere und noch leistungsgerechtere Vergütung für die Mitarbeiter in der Pflege. Und es braucht mehr Pflegekräfte. Das kann nur ein Vollkaskosystem leisten.
Wieder eine extreme Forderung?
Michael Endres: Wenn wir das Problem nicht auf den zentralen Punkt bringen, wird sich nichts verändern. Es ist doch genug analysiert. Alle Verantwortlichen in Politik und Pflege wissen, woran das System krankt. Die Frage ist: Wo wollen wir hin? Wer A sagt, muss auch B sagen. Wir sind spät dran und müssen mit Hochdruck an verschiedenen Seiten anpacken Das heißt auch Wachrütteln.
Politik funktioniert nur auf Druck? Holen Sie sich Verbündete?
Michael Endres: Wir sind mit anderen Trägern der freien Wohlfahrtspflege auf Bundes- und Landesebene im Boot. Das geht nur gemeinsam. Die Politik hat das Problem erkannt, die Frage ist aber, ob das, was man zur Lösung tut, ausreicht, ob die Energie nicht verstärkt werden müsste. Die Anstrengungen müssen zweifellos erhöht werden, sonst kann Pflege in einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen nicht mehr geleistet werden.
Thema Hospiz: Ministerin Huml will die Angebote ausbauen, zusätzlich Plätze schaffen. Niederbayern wird dabei nicht berücksichtigt. Wie stellt sich Ihnen die Situation dar?
Michael Endres: Dass sich die Pläne nicht auf Niederbayern auswirken, halte ich für nicht akzeptabel. Niederbayern hat 20 Plätze, in Niederalteich und Vilsbiburg. Wesentlich zu wenig. Es bestehen Wartelisten. Zudem sind für die Angehörigen die Anfahrtswege einfach zu lang. Wir halten aufgrund unserer Gespräche mit Fachleuten eine Verdoppelung für nötig. Ich habe vor drei Wochen die Ministerin angeschrieben und auf diese Versorgungslücke hingewiesen, dass wir eine Lücke sehen und eine niederbayerische Offensive für nötig halten. Noch habe ich keine Antwort darauf.
Die Fragen stellten der PNP-Chefredakteur Ernst Fuchs und der Nachrichtenredakteur Stefan Rammer