Sie liest mit fester, nuancierter Stimme. Und ich höre zu. Ich sitze da, den Blick nach innen gerichtet, und lausche einer im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichneten Geschichte. Es ist eine berührende Geschichte, die von Herzenswärme erzählt, von Hilfsbereitschaft und sozialer Verbundenheit über Ländergrenzen hinweg und davon, dass das eigene Glück größer wird, wenn man es mit anderen teilt. Es ist eine echte Caritas-Geschichte, überschrieben mit "Hoffnung im Schuhkarton". Der Titel verweist auf eine sich jährlich wiederholende Aktion der Caritas im Landkreis Altötting.
Die 20-Jährige Emilia Burger hat mit ihrer Kurzgeschichte "Hoffnung im Schuhkarton" beim Literaturwettbewerb den 2. Platz erreicht. Foto: Susanne Stimmer
Autorin dieser kleinen, aber feinen Geschichte ist Emilia Burger. Ich habe mich mit der jungen Altöttingerin zu einem Gespräch getroffen und kam dabei auch in den Genuss einer exklusiven Lesung. "Entstanden ist die Kurzgeschichte als Beitrag für einen Literaturwettbewerb, an dem sich meine Schule beteiligt hat", kommt Emilia bei unserem Treffen sofort zur Sache. Der Wettbewerb gelte für die Unter-, Mittel- und Oberstufen der weiterführenden Schulen im Landkreis Altötting. Wer gerne eigene Texte verfasst, dürfe mitmachen und sie zur Bewertung bei der Jury, bestehend aus Deutschlehrkräften, einreichen. "Die besten Arbeiten werden ausgewählt und kommen in die nächste Runde", erklärt sie. "Zum Schluss bleiben sechs Beiträge übrig. Das sind die Gewinner." Dass ihre Geschichte dazuzählen würde, habe sie natürlich sehr gehofft. Emilia zückt ihr Handy. Bevor ich meine vielen Fragen loswerden kann, möchte sie mir zuerst ihre Geschichte vorstellen. Ich bin gespannt. Sie beginnt zu lesen. Langsam und betont. Jedes Wort ist wichtig. Ich merke schnell: Hier sitzt mir eine begabte Nachwuchsautorin gegenüber. Eine, die über Dinge schreibt, die eine tiefere Bedeutung haben. Eine, die sich Gedanken macht über die Zusammenhänge in der Welt, die ihre Vorstellungskraft dafür nutzt, sozialkritisch hinter die Kulissen zu schauen und Verhaltensweisen, auch eigene, zu hinterfragen. Später erzählt sie von ihrem Ziel, kurzweilige Bücher schreiben zu wollen, die sich mit zeitkritischen Themen befassen.
Inspiriert von der Weihnachtspäckchenaktion
Zurück zum Wettbewerb. Inhaltlich hatten sich die Teilnehmenden je nach Schulstufe mit unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen. Die Oberstufe bekam das Thema: "Fair handeln bzw. leben im Landkreis Altötting". Eine herausfordernde Vorgabe. Da müsse man schon erstmal gut überlegen, worüber man schreiben will, meint Emilia. Sie selbst habe sich von der Weihnachtspäckchenaktion der Kreis-Caritas Altötting inspirieren lassen. "Die finde ich toll; da habe ich schon als Erstklässlerin mitgemacht, zusammen mit meiner ganzen Familie." Bei der Aktion geht es vordergründig darum, armen, verwaisten Kindern in Westrumänien Spielsachen, Stofftiere, Puppen, Süßigkeiten und Schulmaterial unter den Christbaum zu legen. Schulen, Kindergärten und Privatpersonen aus dem Landkreis beteiligen sich seit Jahren daran, füllen Schuhkartons, verpacken sie in hübsches Weihnachtspapier und geben sie beim Caritashaus St. Elisabeth ab. Von dort werden sie nach Rumänien gebracht.
Freude und Hoffnung verschenken
Der eigentliche Sinn der Aktion bestehe aber darin, Freude und Hoffnung zu verschenken, sagt Emilia. Genau davon habe sie in ihrer Geschichte erzählen wollen: von der Bedeutung der kleinen Zeichen der Nächstenliebe, die so wertvoll sind, aber oft unbemerkt bleiben. Ein Schuhkarton voll Hoffnung könne den Unterschied hin zum Besseren machen. Davon ist Emilia überzeugt. "Als mir klar wurde, dass meine Geschichte davon handeln sollte, hat die Niederschrift schließlich nicht länger als eine halbe Stunde gedauert", verrät sie und lächelt. Sie wurde belohnt und ihre Geschichte prämiert. "Über den zweiten Preis habe ich mich wahnsinnig gefreut", sagt sie. "Ich habe schon als Kind gern gelesen und früh angefangen zu schreiben. Der Preis ist sozusagen eine Wertschätzung meines Hobbies und eine Würdigung des literarischen Werts meiner Geschichte. Darüber bin ich sehr glücklich." Sie lässt ihr sympathisches Lächeln strahlen. Was jetzt an der Reihe sei? "Mein Lehramtsstudium", sagt sie. Für ihr ehrenamtliches Wirken im Caritashaus St. Elisabeth werde dann vermutlich nicht mehr so viel Zeit bleiben, fügt sie bedauernd hinzu. Sie engagiere sich dort seit 2018 und helfe (fast) jeden Dienstag beim Pizzabacken. Die Begegnungen mit den behinderten Menschen haben einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. "Das sind die liebsten Menschen überhaupt. Von ihnen bekommt man wahnsinnig viel zurück." Sie schätze auch die tolle räumliche und soziale Atmosphäre im Caritashaus. "Caritas macht viel Gutes und setzt sich für viele gute Dinge ein. Ich sehe mein privilegiertes Leben als Geschenk und möchte daher meinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten." An ihrem künftigen Studienort wolle sie sich daher auch ehrenamtlich im sozialen Bereich einbringen. Wie auch immer dieser Wunsch in Erfüllung gehen mag, eines steht fest: Mit weiteren guten, Hoffnung verbreitenden Geschichten wird Emilia immer ins Schwarze treffen.
Susanne Stimmer, Referentin für Gemeindecaritas Dekanat Altötting
Anbei die Geschichte von Emilia Burger
Hoffnung im Schuhkarton
Die Ecken bohren sich in meine eiskalten Handflächen. Mein Unwohlsein kriecht wie eine Schlange durch meinen Körper. Hier stehe ich also. Verloren in der unbarmherzigen Kälte. In meiner Hand ist ein bunter, mit Geschenkpapier umwickelter Schuhkarton. Lange habe ich überlegt, ob ich mitmachen soll. Sekunden, Minuten, Stunden habe ich mir den Kopf zerbrochen. Ich möchte etwas verändern. Ich möchte Gutes tun, aber hilft diese Aktion dabei wirklich? Kann so ein Päckchen wirklich das Leben eines Kindes verändern? Lange dachte ich, es wäre wie ein Ablasshandel. Als könnte man sich damit freikaufen von der Verantwortung, die ich als frei lebende, unabhängige Person habe.
Als könnte man einen Karton Liebe verschicken und hätte damit seine Aufgabe erfüllt, das schlechte Gewissen ertränkt, im Bewusstsein, dass mein gnädiges Erbarmen zu einer besseren Welt beigetragen hätte. Resultierend aus reinem Egoismus und dem Streben nach Anerkennung. Nur um dann so unreflektiert, unnachsichtig und gleichgültig weiterzuleben wie bisher. Doch nach diesen vielen Stunden des Überlegens weiß ich nun, dass ich falsch lag. Das war eine Ausrede, eine lächerliche Entschuldigung für meine Ignoranz, mein privilegiertes Leben, meine Sicherheit.
Ich wollte mich nicht hinterfragen, denn dazu müsste ich mir den Spiegel meiner Taten vorhalten und erkennen, dass ich mehr handeln muss. Dass ich aktiv gegen Ungerechtigkeiten kämpfen muss. Es reicht nicht für Fairness zu sein. Man muss aktiv Fairness leben. Diese Situation dort in Rumänien ist alles, aber nicht fair. Jedes Kind sollte wenigstens an Weihnachten ein Lächeln ins Gesicht gezaubert bekommen. So wie ich hier im kühlen Wind stehe, spielt sich eine kleine Szene vor meinen Augen ab. Es ist dunkel und bitterkalt. Der rumänische Winter legt sein weißes Gewand auf alle Wälder und Dörfer. Und da steht sie, ein kleines hageres Mädchen, das hoffnungsvoll auf das Auto der Altöttinger Caritas blickt. Es ist bis oben hin mit Schuhkartons vollbeladen.
Als ihr eines der Pakete überreicht wird, rinnt eine leise Träne über ihre hochrote Wange. Ihre Augen strahlen stärker als der hellste Stern am Nachthimmel. Noch nie zuvor hatte ich ein Kind so glücklich gesehen. Noch nie zuvor hatte sie an Weihnachten ein Geschenk erhalten. Noch nie zuvor war ein Geschenk nur für sie. So glücklich wäre ich wahrscheinlich nicht einmal, wenn ich das teuerste und vermeintlich beste Geschenk überhaupt bekommen würde. Auch deshalb wird mir immer mehr die Verantwortung bewusst, die ich gegenüber diesem Mädchen habe und gegenüber allen Kindern, die zu Weihnachten keine Geschenke erhalten können. Nicht alle Eltern können sich Luxus wie Geschenke für ihre Kinder leisten. Viele müssen monatlich darum kämpfen, überhaupt Essen auf den Tisch stellen zu können. Die Welt ist nicht fair. Dieser Umstand ist nicht fair.
Der Hoffnungsschimmer in ihren Augen gibt mir zu verstehen, dass sich etwas ändern muss. So gebe ich diesen Schuhkarton voller Freude, Liebe und Hoffnung an die Verantwortlichen ab. Ich weiß, dass ich nicht die Welt ändern kann. Aber ich kann das Leben Einzelner verbessern und vielleicht sogar etwas Glück verbreiten. Ich weiß, dass dieser Schuhkarton dort ankommen wird, wo er gebraucht wird. Was ich hier tue, ist kein Ablasshandel. Es ist keine Entschuldigung für meine Bequemlichkeit mehr. Dieser Schuhkarton kann nicht nur ein Weihnachtsfest, sondern vielleicht sogar ein Leben verändern. Zum positiven verbessern. Bei dieser Vorstellung wird mir warm ums Herz. Und nächstes Jahr …. Nächstes Jahr befülle ich zwei Schuhkartons.
Emilia Burger
Landrat Erwin Schneider hat die Preisträger, deren Familien, die Jury sowie den Initiator des Wettbewerbs zu einer Feierstunde ins Landratsamt geladen und die Auszeichnungen verliehen. Der Mitschnitt von Allround TV kann hier angesehen werden.