"Sei gut, Mensch": Noch nie war ein Jahresmotto der Deutschen Caritas so treffend und plausibel wie heuer. In den letzten Monaten haben es viele Menschen an vielen Orten vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Gemeindecaritas im Bistum Passau hat einige Aktivitäten begleitet und Beispiele aus den Pfarreien und Ortsverbänden zusammengetragen: Kleine Geschichten, die Mut machen. Die von Verwundbarkeit, von Kreativität und Spiritualität erzählen.
1. Du gehörst dazu * - Vernetzung organisieren
März 2020. Die Krise kommt erst schleichend - und dann mit voller Wucht. Bilder aus Bergamo und anderswo brennen sich ins Gedächtnis. Die Politik verordnet Prävention. Soziale Kontakte müssen "ausgedünnt", das öffentliche Leben muss "heruntergefahren" werden, heißt es Mitte März. Was hier beginnt, wird man später "die große Unterbrechung" nennen: Auf Gewohntes, auf Selbstverständliches muss verzichtet werden. Abstand ist der neue Anstand. Vor allem allein lebende, ältere und arme Mitmenschen treffen die Beschränkungen hart.
Doch die Not lässt zusammenhalten und zusammenfinden. In vielen (Pfarr-)Gemeinden entstehen spontan Kooperationen für Einkaufs-, Transport-, Fahr- oder Botendienste. Da vernetzt sich die Ortscritas mit der Landjugend, die Kolpingfamilie mit den Fußballern, der Frauenbund mit dem Pfarrgemeinderat. In Nachbarschaftshilfen und Tafeln springen junge Freiwillige für Ältere ein, weil diese zur Risikogruppe gehören.
2. Ich höre dir zu - In Verbindung bleiben
Weil so mancher Kommunikationsweg unterbrochen ist, entstehen neue kreative Formen der Vernetzung. Die Gemeindecaritas veranstaltet zum Beispiel mit der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Deggendorf eine Serie mit Online-Vorträgen zur Frage, was die Corona-Krise für uns bedeuten kann. Ein Denkanstoß daraus: Wer sensibel ist für Vulnerabilität (Verletzlichkeit), wer selbst Erfahrung damit hat, der ist fähig und bereit zu einer Solidarität, wie sie im (Wörter-)Buch steht: Gegenseitige Hilfsbereitschaft, Bewusstsein der Zusammengehörigkeit.
Aus Solidarität zu Hause bleiben, das ist in diesen Zeiten gut. Einsam sein nicht. Referenten/innen der Gemeindecaritas im Raum Passau bieten deshalb eine Telefonaktion an. Sie schenken "ein Ohr" und haben Zeit. Bei Bedarf vermitteln sie weiter an ehrenamtliche Hilfsdienste, wie sie auch von Kommunen und Landratsämtern koordiniert werden, oder an die Telefonseelsorge. Nachdem die Nachfrage eher zögerlich anläuft, ergibt sich nach einigen Recherchen eine erfreuliche Ursache dafür: In vielen Pfarreien und Gemeinden sorgen sich Caritas- und andere Ehrenamtliche selbstverständlich und von sich aus um ihre Mitmenschen: Sie rufen sie an, halten Kontakt, fragen nach, wie es geht und was not tut.
Sie begleiten, unterstützen und vernetzen die ehrenamtlich Engagierten in den Caritas-Ortsvereinen: Das Team der Gemeindecaritas mit (v. li.) Susanne Stimmer (Dekanat Altötting), Margarethe Aigner (Freyung-Grafenau), Brigitte Eichinger (Osterhofen), Fachbereichsleiter Konrad Haberger (Passau, Hauzenberg), Tina Sträußl (Regen), Abteilungsleiterin Ingrid Aldozo-Entholzner, Mario Unterhuber (Pfarrkirchen, Simbach) und Agnes Stefenelli (Pocking, Vilshofen).Baumgartner
3. Ich besuche dich - Auf einander schauen
Das Jesuswort "Und ihr habt mich besucht" erfährt auf einmal kreative, vermeintlich paradoxe Variationen: In diesen Zeiten gehört zur Nächstenliebe, einander eben nicht "leibhaftig" zu begegnen und Ansteckung zu vermeiden. Das Interesse aneinander, das "aufeinander schauen", zeigt sich und bewährt sich, indem alternative Kontaktformen intensiviert werden: In Seniorenclubs gibt es regelmäßige Rundrufe, Besuchsdienstleistende halten zu ihren "Klienten" telefonisch Kontakt. Ein Caritas-Ortsverein liefert Basteltipps für Kinder und geistliche Texte für Erwachsene online ins Haus. In einem Kindergarten werden bunte Osterbilder gemalt und an Altenheim-Bewohner/innen geschickt, damit das Besuchsverbot ein bisschen erträglicher wird. Ein Hospizkreis lässt seinen Ehrenamtlichen, die sich nicht mehr zum Austausch treffen können, ein Päckchen Solidarität zukommen: Es enthält eine Grußkarte mit guten Worten, einen selbstgenähten Mundschutz und eine Tüte Blumensamen. Die Symbole müssen nicht erklärt werden.
4. Ich rede gut über dich - Eine Stimme für die Ärmsten
Menschen in prekären Lebenslagen trifft die Coronakrise schmerzlich. Zum Beispiel in der Stadt Passau: Hier sind die Tafel und die Suppenküche im Konradinum geschlossen. Der Kreiscaritasverband geht an die Öffentlichkeit und schildert respektvoll und ohne Wertung die Situation seiner Klienten, die jetzt große Mühe haben, sich Nahrungsmittel zu besorgen. "Besonders schwer", heißt es im Aufruf des KCV, "treffen diese Entwicklungen wohnungslose Menschen. Bisher konnten sie durch Betteln, Flaschensammeln oder ähnliche Tätigkeiten Geld einnehmen. All dies ist nun nicht mehr möglich."
Es geht einmal mehr um Solidarität - und um Vertrauen: In diesem Fall will man bedürftige Menschen "bewusst finanziell unterstützen und auf Sachleistungen verzichten, um dadurch Verbreitungsmöglichkeiten zu vermeiden. Zudem können Bedürftige die Beihilfe nach ihren individuellen Bedürfnissen effizient einsetzen." Buchstäblich als Nothelfer hält in dieser schwierigen Zeit die Bahnhofsmission die Stellung.
5. Ich teile mit dir - Mit Sammlungsgeldern Gutes tun
"Spare in der Zeit…": Daran haben sich viele Pfarr- und Ortsvereine der Caritas in den letzten Jahren gehalten. Mit Geldern, die die treuen Sammler/innen zusammengetragen haben, hilft man jetzt "in der Not". So kann die Auslandshilfe des DiCV Passau für die Partnerdiözese Satu Mare ebenso um Hilfe anklopfen wie der KCV Passau für sein Projekt "Gemeinsam vorbeugen". Die Aufrufe zur Solidarität mit Menschen, die hier wie dort von der Coronakrise existenziell bedroht sind, finden sowohl bei Ortsvereinen als auch bei Privatpersonen Gehör.
Not sehen und handeln: Auch dieses Leitwort der Caritas bewährt sich eindrucksvoll in diesen Wochen. Das Handeln geschieht auf subsidiäre Weise: Nicht immer braucht es die große Institution oder den Behördenweg. In erstaunlich vielen Gemeinden gibt es "Kümmerer/innen", die aufmerksam und sensibel sind. Die sehen, wo wen der Schuh drückt. Und die unbürokratisch helfen, ohne zu beschämen.
6. Ich gehe ein Stück mit dir - Neue Weg-Gemeinschaften
Zu spüren ist eine wachsende Bereitschaft, am Leben der Mitmenschen Anteil zu nehmen, sie durch diese Zeit zu begleiten. Die Vernetzung von organisierten Dienstleistungen hat mancherorts die Auswirkung, dass Nachbarschafts-Hilfen im Wortsinn wieder aktiviert und multipliziert werden. Wer etwas tun kann, tut, was jetzt zu tun ist. Eindrucksvolles Symbol dafür: Freiwillige nähen Schutzmasken für ihre Mitmenschen, damit sie heil durch diese Zeit kommen.
Die Wolfsteiner Werkstätten etwa starten die Aktion "Caritas contra Corona", und hunderte Menschen machen sich auf den Weg: Setzen sich an die Nähmaschine (überwiegend Frauen) oder ins Auto (überwiegend Männer), schneidern Nasen- und Mundschutz in Serie, liefern die Stoffe an die Haustür oder transportieren die fertigen Teile nach Freyung. Unser aller Vulnerabilität macht sie sensibel, und Solidarität lässt sie kreativ werden
Gutes tun ist keine Frage des Alters: Franziska Angerer (95) aus Hauzenberg hat für die Wolfsteiner Werkstätten 150 Masken genäht. Einfach aus Solidarität. Und mit sichtlicher Freude.Haberger
7. Ich bete für dich - Im Glauben solidarisch
Ein Caritas-Vorsitzender berichtet zu der Umfrage, was in den Ortsvereinen in Corona-Zeiten läuft: Er telefoniert viel mit einsamen Leuten, die er kennt. Er selbst gehört ja zur Risikogruppe und fällt als persönlicher Helfer aus. Also kümmert er sich von zu Hause aus darum, dass die Menschen, denen er üblicherweise hilft, zu ihren Dienstleistungen kommen. Und obendrein, sagt er, betet er täglich ein Gesätzchen Rosenkranz für seine Leute und für alle, die es brauchen können.
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Die Beispiele können es nur andeuten: Es gibt unzählige Menschen, die nicht nur in Krisenzeiten zutiefst menschlich handeln. Die Gutes tun, die Güte zeigen. Und damit auch ein Glaubens-Zeugnis geben. Denn, wie brachte es einst ein Theologe namens Joseph Ratzinger unübertroffen auf den Punkt:
"Nicht der konfessionelle Parteigenosse ist der wahre Christ, sondern derjenige, der durch sein Christsein wahrhaft menschlich geworden ist. Nicht derjenige, der ein Normsystem sklavisch einhält, sondern derjenige, der frei geworden ist zur einfachen, menschlichen Güte."
Konrad Haberger
* Gliederung angelehnt an die "Sieben Werke der Barmherzigkeit für heute", Erfurt 2007