Das bedeutete: viele interessante Gespräche mit den Senioren und Kollegen auf Zeit". Leben, Lachen, lustig und auch mal traurig sein mit den Bewohnern. Gemeinsam Basteln, Beten, Musizieren, Maiandacht feiern und noch so viel mehr. Viel dazulernen. Und unglaublich herzlich aufgenommen werden. Mir hat sich dabei ein Schatz aufgetan. Heute ist mein erster Tag als "Praktikantin" in den Betreuungs- und Aktivierungsgruppen des Seniorenheims. In diesem Tätigkeitsbereich geht es nicht um die Pflege, sondern um die Soziale Betreuung der Menschen.
Gemeinsam kreativ sein: In den Betreuungs- und Aktivierungsgruppen – wie hier mit Frauke (Mitte) –
können die Senioren auch beim Basteln und Malen der Phantasie freien Lauf lassen
Foto: Uschi Friedenberger
8 Uhr früh. Meine erste "Amtshandlung": Mund auf für den Corona-Test, bevor ich auf die Bewohner "losgelassen" werden kann.
Dann nimmt mich Rita Maderer in Empfang, die den Bereich Soziale Betreuung leitet. Meine "Chefin" also für die nächsten Tage. Ich lerne das Team kennen. Und erfahre, was zur Sozialen Betreuung so alles dazu gehört: Von Gedächtnistraining bis "Mensch ärgere dich nicht", von Gymnastik bis Basteln, von Gesprächen bis zum Singen.
Nun nimmt mich "Kollegin" Helga unter ihre Fittiche, verantwortlich für die Betreuung im Wohnbereich 3 im 3. und 4. Stock. Und jetzt wird es spannend. Denn heute ist wie jeden Mittwoch um 10 Uhr Gottesdienst in der Kapelle. Die Vorbereitungen laufen. Helga ist noch mit den Corona-Tests bei den Bewohnern unterwegs, die heute teilnehmen: "Anni, guten Morgen, mogst heit scha mit in d‘ Kirche gehen?" fragt Helga fröhlich, als sie den Kopf bei der Tür der Seniorin reinsteckt. "Hier duzen wir uns fast alle", klärt mich Helga auf. Klar freut sich die Anni schon auf den Gottesdienst und auch die Resi, nur wenige Zimmer weiter. Und da erwartet mich eine schöne Überraschung: Die Schwester von Resi, die Kathi, habe ich im Jahr 2013 kennengelernt, als ich einen Artikel über die alte Dame schrieb, die damals mit ihrer weißen Katze Heidi gemeinsam ins Hauzenberger Heim St. Josef eingezogen ist. Leider ist die Katharina schon vor Jahren verstorben. Aber so kommen ihre Schwester Resi und ich schnell ins Gespräch: "Acht Geschwister sind wir gewesen und jetzt leben nur noch zwei", meint Resi etwas bekümmert. Ich darf die Seniorin im Rollstuhl zur Kapelle bringen.
Wir holen noch weitere Bewohner und als alle Rollstuhlfahrer an den markierten Plätzen stehen, die Rollatoren verstaut sind und auch alle anderen ihre aus Corona-Gründen genau markierten Plätze eingenommen haben, kann es losgehen. Pfarrvikar Manfred Wurm und Diakon Hans Ranzinger feiern mit den Teilnehmern den Gottesdienst, den der Bewohner Franz als Ministrant gewissenhaft begleitet. Anschließend geht’s wieder in die Wohnbereiche. Ich darf die Resi zurückbringen, weil wir uns ja schon angefreundet haben. Gerade ist der Aufzug mit zwei Rollstuhlfahrern, zwei Bewohnern mit Rollator und drei "Fußgängern" schon voll besetzt. Eine andere Seniorin muss warten. "Jetzt passt grad keier mehr rein. Musst noch warten. Hast ja Zeit, bist ja schon in Rente", meint Helga, immer zu einem Späßchen aufgelegt. Das erheitert die Seniorin. Und mit Humor lässt sich auch so manche gesundheitliche Beeinträchtigung besser ertragen.
Wir sind nun wieder komplett im Wohnbereich 3. Die restliche Zeit bis zum Mittagessen vertreiben wir uns mit einem interessanten Spiel, bei dem Bilder von Gegenständen aus vergangenen Zeiten beschrieben und von den anderen erraten werden. Da geht es um ein altertümliches Bügeleisen oder eine Schreibmaschine. Ich beschreibe ein Nudelholz und erkläre, dass man das Teil zum Ausrollen des Plätzchenteigs braucht, es aber auch als Waffe verwenden kann. "Gell, wenn der Mann aus dem Wirtshaus heimkommt! A Nudelwoigara!" kommt es von einer Bewohnerin lachend wie aus der Pistole geschossen. Wir unterhalten uns noch ein wenig. Die Gretl singt wunderschön das "Stoahauerlied". Die 93-jährige Mine sinniert über ihr Alter: "Dass ich schon so alt bin, des glaub i oft selber net!" Die Mine muss man ziemlich laut ansprechen. "Weil mein Hörgerät liegt im Nachtkastl drin", erklärt
sie schmunzelnd.
Die Zeit vergeht wie im Flug, denn es ist sehr kurzweilig in dieser Runde. Jeder weiß etwas anderes. Man spürt, wie den Senioren allein schon das Ratschen gefällt. Und für mich selbst ist es auch sehr interessant. Alte Menschen sind wandelnde Geschichtsbücher und ein Schatz an Erfahrungen. Und wenn der eine oder andere auch schon manches durcheinanderbringt, alte Lieder können sie noch bis zur letzten Strophe auswendig.
Dann kommt Diakon Hans Ranzinger vorbei, der zudem als Sozialer Betreuer im Heim St. Josef arbeitet. "Grüß dich Gertraud. Möchtest du die Kommunion?", schreit er, denn die Gertraud hört auch schon
ziemlich schlecht. Wir beten in dieser offenen Gruppe am langen Tisch gemeinsam ein Vaterunser und Gegrüßet seist du Maria.
Der verlockende Geruch sagt alles: Das Mittagessen ist im Anmarsch. Heute gibt es Suppe, Schweinebraten mit Knödel und Krautsalat. Ich helfe den Bewohnern beim Umlegen des Kleiderschutzes und beim Zerkleinern der Speisen. Später nimmt mich Helga mit in die "Kantine" und wir stärken uns mit dem gleichen Mittagessen wie die Senioren. "Das kann ja was werden", seufze ich, denn am Nachmittag trifft sich die Tischharfe-Gruppe zum Üben und ich werde zum Mitspielen eingeladen. Das Instrument heißt auch Zauberharfe und hat sich seinen Namen wirklich verdient. Denn dadurch, dass man die Notenblätter unter die Saiten legt, kann man wirklich sofort mitspielen. Wir üben Marienlieder wie "Meerstern, ich dich grüße", "Maria dich lieben" und "Freu dich, du Himmelskönigin" für die Maiandacht. Franzl, den ich als Ministrant vom Gottesdienst kenne, sucht sich das Lied "Mir san vom Woid dahoam aus: "Denn das passt ja zu uns", meint er. Und den "Weltverdruss" spielen wir auch noch.
Redakteurin Uschi Friedenberger (rechts) freute sich, dass sie so herzlich in die Tischharfe-Gruppe des Heims aufgenommen wurde und bei der Umrahmung der Maiandacht Marienlieder mitspielen durfte.
Foto: Franz Hackl
Als ich am späten Nachmittag gerade am Gehen bin, fällt mir in der "Ratschecke" ein Ehepaar auf. Sie sind beide über 90, seit 72 Jahren verheiratet und haben über 50 Jahre gemeinsam im Kirchenchor gesunen, erzählt der Mann, der liebevoll seiner Frau über die Hand streichelt. Und auch jetzt singen sie gemeinsam: "Fein sein, beinander bleib‘n!" Ein eingespieltes Team. Immer noch. Ich bin tief beeindruckt.
Am nächsten Tag nimmt mich "Kollegin" Anja mit in ihre Gruppe. Heute malen wir Bilder mit Wachsmalkreiden von einer afrikanischen Landschaft im Sonnenuntergang. Ich darf einige Tiere ausschneiden, die darauf geklebt werden. Und schwupps - habe ich einem Vogel Strauß seinen filigranen Hals durchtrennt. Schnell steige ich um auf Elefanten und Zebras, die sind leichter auszuschneiden. Es kommen schöne Kunstwerke heraus. Jeder hat seinen eigenen Stil. Anja liest den Senioren aus der Zeitung vor und auch die Unterhaltung kommt nicht zu kurz. Ich erlebe und erfahre noch sehr viel in den nächsten Tagen im Seniorenheim.
Zum Beispiel gibt es auch eine Männergruppe, bei der sich die Freizeitbeschäftigung überwiegend in der Werkstatt abspielt. Ich erfahre von Einrichtungs-Leiter Franz Hackl, wie wichtig und wertvoll er die Soziale Betreuung einschätzt: "Die Betreuungsassistenz ist ja schon mal wichtig, weil sie aus dem Pfle- geschlüssel rausgenommen ist. Das hat unsere Regierung gut gemacht, dass man neben dem Pflegeablauf zur Betreuung der Bewohner zusätzliche Kräfte hat. Und natürlich sind die entsprechend ausgebildet und wissen, wie sie ein Betreuungsprogramm für jeden Tag oder auch zum Beispiel für die kirchlichen Feste organisieren können. Die Senioren sind bei uns nach Krankheitsbildern in den Aktivierungs- und Betreuungsgruppen eingeteilt, weil sie sich so am wohlsten fühlen. Die sieben Mitarbeiter in der Betreuung sind von der Ausbildung her sehr flexibel ausgestattet und sehr motiviert. Und so ist die Gemeinschaft, die unsere Bewohner in den fünf Betreuungsgruppen erleben, sehr wertvoll!"
Ein wunderbares Erlebnis ist die Maiandacht, bei der die Senioren sich im Sinnesgarten des Heims St. Josef in Hauzenberg versammeln, hier bei der Begrüßung durch Einrichtungs-Leiter Franz Hackl (stehend).Foto: Uschi Friedenberger
Danke, dass du mir wieder einen Tag geschenkt hast
Ich lerne im Caritasheim St. Josef, wie tapfer viele Senioren ihr Schicksal annehmen, auch wenn ihnen gesundheitliche Beeinträchtigungen schon zu schaffen machen. Ich erlebe, wie stark die Einstellung das Leben beeinflusst. Die fast 95-jährige Marianne, die in der Tischharfe-Gruppe mitspielt, meint auf meine Frage, wie sie es schafft, in diesem Alter so gesund und adrett auszusehen: "Naja, da gehört schon eine gewisse Pflege dazu. Und so fühle ich mich pudelwohl. Ich mache alles Mögliche: Stricken, Zeitung lesen, Kreuzworträtseln.
Und alle Tage sage ich dem Herrgott:
"Danke, dass du mir wieder einen Tag geschenkt hast. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit!"
Text: Uschi Friedenberger