Herr Audebert, wieviel Angst müssen wir Deutschen vor Fremden haben?
Natürlich keine! Sie nehmen uns ja nichts weg. Im Gegenteil, diese Menschen aus fernen Ländern bereichern uns. Wir können unseren Horizont erweitern, neue Kulturen entdecken. Die Wirtschaft hat das längst erkannt. Wenn ich etwa einen nigerianischen Mitarbeiter habe, bekomme ich automatisch Kontakt zu dessen Netzwerk in seiner ursprünglichen Heimat. Wir können auch neue Impulse für den sozialen oder Dienstleistungsbereich bekommen. Der ist in vielen asiatischen oder afrikanischen Ländern wesentlich ausgeprägter. Und auch angesehener. Oder im Bereich Bildung: Afrikanische Länder oder Persien haben ein uralte Erzählkultur. Das kann doch eine Bereicherung für unsere Kindertagesstätten sein. Wir lernen auch viel Neues über klimatische Zusammenhänge.
Flüchtlinge aufnehmen ist gelebte Gastfreundschaft. Was gilt es dabei zu bedenken?
Wir deutschen Planungsweltmeister brauchen klare Strukturen, Anweisungen. Das funktioniert aber in Zeiten des rasanten digitalen Wandels, angesichts der Energiewende und jetzt der Flüchtlingen leider nicht mehr. Die Welt dreht sich immer schneller. Das birgt Unsicherheiten, die uns Deutschen so unlieb sind. Wir müssen uns empathisch in neue Strukturen denken. Aus meiner Sicht brauchen wir dafür: klare Visionen und viele kleine berechenbare Ziele. Das ist momentan ja das große Problem unserer Politik. Als gutes Beispiel dafür: Unser Papst Franziskus. Er hat eine klare Vision, „Barmherzigkeit“ und er gibt viele kleine Schritte dazu vor. So ist man erfolgreich. Ob Kirche, Verband oder Unternehmen!
Die ICUnet.AG hat bereits Ehrenamtliche im Kreiscaritasverband Freyung-Grafenau für die Begegnung mit fremden Kulturen geschult. Was ist ihr persönliches Fazit?
Die Caritas hat weitsichtig gehandelt. Ein afghanischer und ägyptischer Mitarbeiter haben den Kulturkreis des Islam erläutert, wie die Menschen dort eben ticken. Wir haben noch immer eine Hotline bei akuten Problemen. Jetzt steht aus meiner Sicht ein echter Weitsprung an. Integration funktioniert nur, wenn beide Seiten wissen, was sie vom je anderen zu erwarten haben. Dazu müssen wir fremde Kulturen mit unserer abgleichen. Wir müssen prüfen, welche personellen Ressourcen wir haben und brauchen. Wir müssen dann die Prozesse klären. Will heißen: Wie finde ich etwa AltenpflegerInnen? Aus welchen kulturellen Milieus kommen solche Menschen? Wie viele brauche ich in Zukunft? Alles sehr spannend.
Ist Deutschland nicht längst ein Einwanderungsland?
Klar doch. Seit 1949 kommen Leute aus fernen Ländern zu uns; grob geschätzt 250 000 im Jahr. Wir brauchen diese Menschen auch. Immer weniger Junge sollen für immer mehr Alte sorgen. Das ist doch unser Problem. Machen wir uns nichts vor!
Und dennoch ist eine Abwehrhaltung da.
Viele haben Angst ihren Lebensstandard zu verlieren. Man will seinen Bestand sichern. Das war zu allen Zeiten so. Aber schon den Römern ist die Grenzsicherung nicht gelungen. Deshalb müssen wir neu denken. Wir wissen (kennen) gar nicht (so richtig), was Gast-Freundschaft in vielen Ländern der Erde bedeutet. In anderen Kulturen heißt es auch gastfreundlich im Arbeitsumfeld zu sein. Ein Wert, den wir nicht mit dem Themenkreis Arbeit in Verbindung bringen - der woanders aber genauso wichtig ist wie bei uns Deutschen die Pünktlichkeit. Bei der Fußball-WM hieß es wirklich: „Zu Gast bei Freunden“. Es war ein Sommermärchen für uns. Jetzt müssen wir aus dem Märchen eine Geschichte für den Alltag machen.
Wie wird das Märchen dann enden?
Es muss gut ausgehen! Denn es ist die letzte Chance für ganz Europa, der Welt zu zeigen: hier können verschiedene Kulturen und Ethnien, religiöse Überzeugungen, und politische Meinungen friedlich miteinander leben. Ich sehe darin sogar ein Zukunftsmodell für die Erde. Deutschland könnte dafür ein Motor sein. Eine riesige Chance! Nationalismus jedenfalls hat keine Chance mehr.
Was kann die Caritas leisten, um fremde Menschen zu integrieren?
Sie muss mit Leidenschaft für diese Menschen da sein. Caritas als Marke ist für mich ein Programm für Europa. Es eröffnet Chancen für das 21. Jahrhundert. Anwalt sein für Menschen in Not, damit auch für Flüchtlinge. Sie muss gleichzeitig für pflegebedürftige Menschen einstehen sowie Kindern Erziehung und damit Bildung vermitteln. Dafür sorgen, dass dies auch gesellschaftlich wertgeschätzt und folglich entsprechend bezahlt wird. Das ist Aufgabe und Verpflichtung. Unsere Gesellschaft muss gerade für diese zwei Brennpunkte einfach doppelt so viel Geld aufwenden wie bisher. Die Kirche kann nicht Caritas am Sonntag predigen und am Montag nicht leben.
ICUnet hat viel Erfahrung im wechselseitigen Lernen. Wo würden Sie mit dem katholischen Wohlfahrtsverband ansetzen?
Die Caritas hat Knowhow, das für Unternehmen immer wichtiger wird. Beraten, helfen, unterstützen. Soziale Probleme bis hin zu Sucht oder Burnout klären. Aktuell die Integration der Flüchtlingsfrage. Da kann man von der Caritas lernen. Sie sollte da viel selbstbewusster auftreten.
Da bleiben noch Fragen offen!
Ich stelle sie mal: Was wäre, wenn die die Gesellschaft sagen würde: Die Caritas hat bei der Integration fremder Menschen eine Vorreiterrolle gehabt? Was wäre, wenn das Caritas-Team so divers und positiv antreten würde, wie die deutsche Fußballnationalmannschaft? Was wäre, wenn die Caritas deutlich besser auf Herausforderungen der Zukunft antworten könnte, weil sie mit höchster Effizienz arbeitet? Was wäre, wenn die Caritas (bei uns,) in Deutschland, auch weltweit, erster Ansprechpartner in Sachen Pflege, Erziehung und Betreuung wäre und jeder davon lernen möchte?
Dr. Fritz Audebert
Vielen Dank für das Gespräch
Das Interview führte Wolfgang Duschl